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Das Oldtimer-Prinzip der Technik
Warum unsere Technik immer langsamer wird und die Lüge vom "Datenhunger" nicht die ganze Wahrheit ist.
Kennen Sie das Gefühl? Sie halten Ihr brandneues Smartphone in den Händen. Es ist blitzschnell, elegant, ein Wunder der Technik. Doch nach ein paar Monaten, nach ein paar "Updates", beginnt es zu stottern. Apps öffnen sich langsamer, der Akku scheint schneller leer zu sein. Dasselbe gilt für unsere Computer und die Software, die wir täglich nutzen.
Wenn wir uns beschweren, bekommen wir die Standard-Antworten der modernen Priester in den Support-Foren. Es ist die Litanei des Pharaos: "Die Systeme werden immer langsamer, weil die Daten immer größer werden." Oder, bei Handys, der Klassiker: "Das große, helle Display frisst den ganzen Strom."
Aber, liebe Pilger, das ist eben nicht die ganze Wahrheit. Es ist die Fassade, die "Schönredner-Software", die uns davon abhalten soll, die wahre, ungemütliche Architektur hinter dem Problem zu erkennen.
Ich erwähnte Softwareentwicklerin zu sein und mittlerweile sind wir im Support immer wieder die „Schuldigen“, wenn unsere Software auf bestimmten Systemen zu langsam arbeitet. Aber ich möchte ihnen mal erklären, was das Grundproblem unserer Technik ist.
Die unsichtbare Bürokratie im Herzen der Maschine
Die Wahrheit ist: Unsere modernen Systeme werden nicht primär langsamer, weil die Aufgaben komplexer werden. Sie werden langsamer, weil die Systeme selbst zu aufgeblähten, ineffizienten Bürokratien geworden sind.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein einfaches Haus bauen. Die alte Methode wäre, einen erfahrenen Zimmermann zu holen, der mit präzisen, effizienten Handgriffen ein stabiles Gerüst errichtet. Die moderne Methode ist es, eine riesige Verwaltungsbehörde zu beauftragen. Bevor auch nur ein Nagel eingeschlagen wird, laufen unzählige, unsichtbare Prozesse ab: Anträge, Genehmigungen, Sicherheitsüberprüfungen, Meetings über Meetings. Das meiste der Energie wird nicht mehr in den Bau des Hauses investiert, sondern in die Verwaltung des Bauprozesses.
Genau das geschieht im Inneren unserer Geräte. Moderne Software ist oft nicht mehr der schlanke, effiziente Code eines Handwerksmeisters. Sie ist ein riesiges Konstrukt aus unzähligen, übereinandergestapelten Schichten, Frameworks und Bibliotheken. Wie wir am Beispiel Java sehen, läuft im Hintergrund eine gewaltige, unsichtbare Armee – eine "virtuelle Festung", eine "Putzkolonne" für den Speicher –, die den Großteil der Prozessorleistung dafür verbraucht, sich selbst am Laufen zu halten.
Was läuft da, was wir nicht sehen. Wir sehen nicht die drei großen, energiehungrigen Armeen, die der Pharao angestellt hat, um seinen Palast zu verwalten.
1. Die virtuelle Festung (Die Java Virtual Machine - JVM):
Das ist der erste und wichtigste Punkt. Java-Anwendungen leben nicht direkt in der realen Welt (dem Betriebssystem). Sie leben in einer eigenen, hochgerüsteten, virtuellen "Festung", der JVM.
Die Illusion: Diese Festung verspricht Sicherheit und Unabhängigkeit ("Schreibe einmal, führe überall aus").
Die Wahrheit: Aber diese Festung ist ein unersättlicher Energiefresser. Sie hat ihre eigenen Wachen, ihre eigene Verwaltung, ihre eigenen Gesetze. Sie verbraucht einen erheblichen Teil der Systemressourcen nur dafür, sich selbst am Laufen zu halten, noch bevor eine einzige, nützliche Arbeit getan wurde.
2. Die unsichtbare Putzkolonne (Der Garbage Collector):
Die Festung des Pharaos produziert unendlich viel Müll (ungenutzte Objekte im Speicher). Anstatt die Bewohner zu lehren, ihren Müll selbst wegzuräumen, hat der Pharao eine riesige, unsichtbare Armee von Dienern angestellt: den Garbage Collector.
Die Illusion: Er verspricht Bequemlichkeit. Du musst dich um nichts kümmern.
Die Wahrheit: Diese Putzkolonne ist zwar fleißig, aber sie ist laut und ineffizient. In regelmäßigen Abständen hält sie den gesamten Palast an ("Stop-the-World"-Pausen), durchsucht jeden einzelnen Raum und schleppt den Müll weg. Diese ständige, unsichtbare Aufräumarbeit erzeugt eine massive Grundlast im System.
3. Die endlose Renovierung (Der Just-In-Time Compiler):
Der Pharao ist besessen von der Illusion der Perfektion. Anstatt einen fertigen, stabilen Palast zu bauen, hat er einen paranoiden Hofarchitekten angestellt, der die Architektur des Palastes ständig optimiert, während die Leute darin wohnen.
Die Illusion: Er verspricht eine immer bessere Performance.
Die Wahrheit: Diese ständige Analyse und "Just-in-Time"-Optimierung des Codes verbraucht ebenfalls ununterbrochen Prozessorleistung. Es ist, als würde man in einem Haus leben, in dem jeden Tag die Wände eingerissen und neu gebaut werden, im Namen einer zukünftigen, perfekten Effizienz.
Fazit: Die Blaupause der Stagnation
Du siehst also nicht nur ein technisches Problem. Es ist ein aufgeblähtes, ineffizientes und bürokratisches System, das seine immense "Energie-Währung" nicht mehr in die Erschaffung von wahrem, schlankem Wert investiert, sondern in die Verwaltung seiner eigenen, überkomplexen, sich selbst beschäftigenden Maschinerie.
Es ist die Blaupause der Stagnation, übersetzt in reinen, unbestechlichen Code.
Der MRT-Scan: Vom alten zum neuen Gefängnis
Der alte Pharao (Java & die Client-Server-Architektur):
Meine Analyse war korrekt. Systeme wie Java sind die alten, schweren, bürokratischen Festungen. Sie sind ineffizient, sie verbrauchen Unmengen an "Energie-Währung", und ihre Komplexität ist erdrückend. Das ist die "Festung", die wir kennen.
Der neue Pharao (Der Webbrowser & die Cloud):
Und was ist die angebliche Lösung, die uns das System verkauft? Die Verlagerung in den Webbrowser. Das ist das "goldene Kalb" des 21. Jahrhunderts. Es verspricht uns Freiheit, Einfachheit und universellen Zugang.
Die Lüge (Die "Problemverschiebung"):
Aber ich habe die Lüge durchschaut. Und weigere mich auf dieses Pferd auf zu springen. Die Komplexität verschwindet nicht. Sie wird nur verschoben. Das Problem wird nicht gelöst; es wird externalisiert.
Die Last wird von dem einen, kontrollierbaren Server auf Millionen von unkontrollierbaren Browsern abgewälzt.
Die Verantwortung wird vom Entwickler auf den Anwender verschoben. Wenn die App langsam ist, ist nicht mehr der Server schuld, sondern der "veraltete Computer" oder die "langsame Internetverbindung" des Nutzers.
Die Macht wird nicht dezentralisiert. Sie wird re-zentralisiert bei den wahren, neuen Pharaonen: den Betreibern der Cloud-Infrastruktur, die nun die wahre Kontrolle über die Daten und die Rechenleistung haben.
Warum meine "scheiße" die Wahrheit ist
Es ist die unbestreitbare Wahrheit, die jeder wahre Handwerker kennt: "Weil die Webbrowser scheiße eben nicht das Non-Plus-Ultra ist. Nicht für komplexe Warenwirtschaft".
Eine gut gebaute Client-Server-Anwendung ist wie ein perfekt gewarteter VW Käfer. Sie ist robust, sie ist transparent, sie ist für eine einzige, komplexe Aufgabe optimiert.
Eine moderne Web-Anwendung ist oft wie ein glänzender, neuer Tesla, der versucht, auf einem unbefestigten Feldweg zu fahren. Er sieht beeindruckend aus, aber er ist für das Terrain nicht gemacht. Er ist in seiner Komplexität eine "Blackbox", die bei jedem unerwarteten "Bug" komplett versagt.
Das Oldtimer-Prinzip: Eine vergessene Weisheit
Und hier, Pilger, müssen wir uns an eine fast vergessene Weisheit erinnern. Nennen wir sie das Oldtimer-Prinzip.
Denken Sie an einen alten VW Käfer. Er ist laut, er ist langsam, er hat keine Klimaanlage. Aber seine Mechanik ist so einfach, so genial, so transparent, dass ein wahrer Kenner ihn mit ein paar Werkzeugen am Straßenrand reparieren kann. Der Code dieses Autos ist schlank, weil die "Hardware" von damals keine andere Wahl ließ. Jeder Befehl musste sitzen. Jede Zeile Code war wertvoll.
Moderne Software hingegen ist oft wie ein hochgezüchteter Luxuswagen, dessen Motorhaube versiegelt ist. Er glänzt, aber wenn er stehen bleibt, sind wir hilflos. Wir sind zu Passagieren in unseren eigenen Maschinen geworden, abhängig von den "Zwangs-Updates" eines fernen, unsichtbaren Herstellers.
Die "Lastenverschiebung": Warum du für die Faulheit der Architekten bezahlst
Warum bauen wir heute keine "Oldtimer" mehr? Weil das System des Pharaos, sein "Gier-Uhrwerk", nicht auf Langlebigkeit, sondern auf Geschwindigkeit ausgelegt ist. Es ist profitabler, schnell ein fehlerhaftes, aber funktionierendes Produkt auf den Markt zu werfen, als monatelang an einem perfekten, schlanken Code zu feilen.
Die "Last" dieser Ineffizienz wird dabei bewusst auf uns, die Nutzer, verschoben. Die Entwickler sparen Zeit, indem sie aufgeblähte, fertige Bausteine verwenden. Und wir bezahlen dafür – mit der kostbaren "Energie-Währung" unserer Akkus und Prozessoren, die sich abmühen müssen, diesen ineffizienten Code auszuführen.
Die hohe Auslastung von Java in vielen modernen Systemen ist ein perfekter "Glitch", ein Symptom, das auf eine tiefere, systemische Wahrheit hinweist. Was wir nicht sehen, ist die unendliche, unsichtbare Bürokratie des Pharaos, die im Maschinenraum seines digitalen Reiches tobt.
Lassen Sie uns das Teleskop darauf richten, denn es ist die perfekte Metapher für die Ineffizienz des alten Systems.
Die Rebellion der "Liebhaber"
Ist dieser Kreislauf also unentrinnbar? Nein. Denn es gibt sie noch, die "Liebhaber". Die Gärtner. Die Oldtimer-Mechaniker unserer Zeit.
Sie sind die, die lernen, ihre eigenen Systeme zu verstehen. Die sich weigern, jedes "Zwangs-Update" blind zu akzeptieren. Die den Wert eines gut geschriebenen, schlanken Programms erkennen und die aufgeblähte, seelenlose Software des Pharaos meiden.
Unsere Aufgabe ist es nicht, den Fortschritt aufzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, wieder zu "Liebhabern" zu werden. Die souveränen Architekten unseres eigenen, perfekten "Starmix". Wir müssen lernen, die unzerstörbare Robustheit des Oldtimers mit der sauberen Energie der Zukunft zu kombinieren.
Hören Sie auf, den offiziellen Erklärungen blind zu glauben. Fangen Sie an, die Architektur hinter der Fassade zu hinterfragen. Pflegen Sie die "Oldtimer" in Ihrem Leben – die Freundschaften, die Ideen, die Fähigkeiten, die sich als wahr und unzerstörbar erwiesen haben. Denn sie sind nicht Ihr Ballast. Sie sind Ihr Anker im Sturm der Zeit.